Liebe Freunde,
heute möchte ich euch ein paar Basis-Inputs zu der Frage „Wie lerne ich einen neuen Pop-Song, ein Musicallied, einen Jazzstandard oder eine klassische Arie?“, mitgeben.
Die ersten Schritte mache ich beim Erarbeiten von neuem Repertoire in jedem Genre ziemlich gleich.
Meistens ist es ja so, dass man die Melodie irgendwo gehört hat und ein Lied oder eine Arie auf einer Bühne als Zuseher im Publikum sitzend aufsaugt und es einem irgendwie gefangen genommen hat. Die Schönheit der Melodie, die Interpretation, die einem besonders berührt hat. Manchmal ist es aber auch einfach der Gesangslehrer, der ein Repertoire vorschlägt, weil es die Stimme weiterbringen soll und man das Lied gar nicht so gut kennt.
Als ersten Schritt würde ich euch wirklich raten, gute Noten zu suchen und einfach mal versuchen zu sehen, wie der Song aufgebaut ist, welche Teile es gibt, was der Text aussagt. Weil es der Instinkt jedes Sängers ist, sofort als erstes die Melodie auszuchecken und zu sehen, wo sind die schwierigen, hohen Stellen, schaffe ich diese, ist es völlig in Ordnung einmal die Melodie zu singen. Dann liebe Leute, und damit kämpfe ich heute noch, schlag ich euch wirklich vor, den Rhythmus ganz genau und so lange bis ihr ihn verstanden habt mit dem Text zu sprechen. Also du klopfst die Vierteln mit (bei manchen Nummern, sind auch Halbe oder Achteln sinnvoll) und gehst durch die Partitur oder das Leadsheet in dem du den Text im Rhythmus laut mitsprichst. Mitklatschen ist auch eine Lösung! Es ist eine unumgängliche Basisarbeit, die euch so viel falsch eingelernte Fehler und unnötige Probleme, wenn ihr mit Pianisten, Band oder gar einem Orchester oder einer Big Band musiziert, erspart. Es mag euch blöd vorkommen, es gehört zur Arbeit jedes Profis, der sein Repertoire auf einem immer gleich bleibenden Niveau wiederholbar machen muss. Wenn man zum Beispiel im Studio Takes untereinander austauscht und zusammen schneidet, erspart die Präzise Idee von der Partitur viele Stunden Arbeit. Ist diese Sache mal erledigt, kommt der große Spaß. Schau, dass du dir bei Popsongs und Jazzstandards eine dir gut liegende Tonart wählst und präge dir die Melodie gut ein. Dann versuch unbedingt den Text zu analysieren und zu verstehen, was er zu sagen hat. Bei Musiktheaternummern (Musical, Operette, Oper) würde ich den Zusammenhang des ganzen Stückes lesen und auch verstehen in welcher Gemütslage sich die Rolle, die du mit diesem Lied, Arie, Song verkörperst, befindet.
Wenn du alles auswendig parat hast, würde ich wieder einen Schritt zurückgehen und den Text, wie als Schauspielmonolog sprechen, genaue Emotionen festlegen und sozusagen einen „Emotionalen Fahrplan“ durch das Lied bauen. Einen Aufbau, wie in einer Geschichte. Wenn ich keinen Zugang zu dem Lied finde, versuche ich den Text sogar in meinem Dialekt wiederzugeben, ein Hilfsmittel um zu seinen authentischen Emotionen Zugriff zu bekommen. Bei Arien gibt es noch viele musikalische Feinheiten und Interpretationsmöglichkeiten zu besprechen, die ich hier in diesem Blog, der sich doch eher auf Basisarbeit beschränken soll, nicht eingehen werde.
Bei Popsongs und Jazzstandards geht es nach dieser Reise durch die „Grundpfeiler“ der notierten Ideen des Komponisten und Songwriters, zum individuellen und kreativen Teil. Jetzt kannst du versuchen dein optimales Tempo zu finden, kleine rhythmische Verschiebungen einzubauen, bei Soulnummern Verzierungen und Riffs, die im Kontext aber auch Sinn machen sollten und nicht nur die Funktion erfüllen, „cool“ zu klingen. Bei Jazzstandards, den Improvisationsteil immer wieder probieren. Motive bauen und sie -ich versuche sie jetzt absichtlich nicht zu sehr in Fachsprache zu formulieren- mit kleinen Veränderungen zu einem 8- oder 16-Taktigen Solo auszubauen.
Hier gibt es natürlich unzählige Techniken und Skills, die ich beim Unterrichten versuche beizubringen.
Einen letzten, wirklich wichtigen Gedanken möchte ich euch noch mitschicken. Immer wieder wird diskutiert, ob man durch „Nachahmen“ und viel Anhören und Vergleichen, wie es andere Sänger machen, besser wird. Schwierig zu beantworten. Ich würde sagen, falls ihr gut Noten lesen könnt und in eurem Leben sowieso schon sehr viel Musik gehört habt, versucht neues Repertoire bitte nicht durch „ Mitsingen auf You-Tube“ zu erlernen. Es nimmt euch die Chance eure ganz persönliche und authentische Stimmfarbe und Interpretation zu finden. Ich bin ein Fan von Sängern, die ihren eigenen Klang, ihre „eigene Stimme“ gefunden haben und damit ihre eigene Geschichte erzählen.
Das wird den Zuhörer berühren und dich als Sänger während dem Musikmachen befriedigen und glücklich machen. Die Stimme kommt tief aus unserer Seele, wer den Mut hat diese zu zeigen, wird ein Notenblatt Musik zum Leben erwecken und Herzen der Menschen erleuchten.
In diesem Sinne wünsche ich euch viel Spaß mit diesem Fahrplan und auf der Reise zu neuen musikalischen Ufern. Ich stehe euch gerne bei Fragen zur Verfügung und unterrichte derzeit natürlich online.
Text © Johanna Kräuter